Nach zweieinhalb Jahren Zwangspause trafen sich viele Betriebs- und Produktionsleiter der Lebensmittelbranche wieder auf der Produktionsleiter-Tagung der Akademie Fresenius. Am 28. und 29. Juni in Düsseldorf standen dabei zwei marktbeherrschende Themen im Mittelpunkt der Diskussion: Versorgungssicherheit und Rohstoffknappheit sowie die Energiekrise und explodierende Energiepreise.
Das alles setzt die Verantwortlichen der Lebensmittelindustrie mächtig unter Druck. Die Teilnehmenden und Experten auf der Tagung waren sich einig: Veränderung ist der Normalzustand geworden und das fordert unsere Kreativität. Mitarbeitende können das! Aber nur, wenn die gemeinsame Richtung klar ist, sie den nötigen Freiraum bekommen, und eine Führungskraft als Coach an ihrer Seite haben, so der KATA-Experte Tilo Schwarz in seinem Key-Note-Vortrag.
Vor dem Hintergrund zahlreicher aktueller Hacker- und Erpressungsangriffe auf deutsche Unternehmen, berichtete Christoph Penkert vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) über die Herausforderungen, die sich für die Informationssicherheit in der Ernährungsindustrie ergeben. Unter dem Begriff „Informationssicherheit“ werden dort alle Maßnahmen in technischen und nicht-technischen Systemen definiert, die die Schutzziele Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität sicherstellen. Die Covid-19 Pandemie wirkte dabei als Katalysator für die Digitalisierung ‒ mit neu zu beherrschenden Risiken wie Tools für Videokonferenzen, Nutzung eigener Hardware und Schatten-IT. Wichtig waren hier Ad-hoc-Lösungen wie VPN-Tunnel für Home Office, um Social-Engineering-Angriffe wie Phishing, CEO-Fraud, Scam und Fake Apps zu verhindern. Erpressungsversuche und daraus folgende Produktionsstopps wären der Worst Case. Um die Versorgung der Bevölkerung zu garantieren, gilt die Ernährungsindustrie als kritische beziehungsweise systemrelevante Infrastruktur, bei der die Informationssicherheit besonders im Fokus steht, so Penkert.
Exakte und zeitgenaue Daten als Schlüssel für mehr Effizienz
Wie Reinigungsprozesse und Hygiene in der Produktion digitalisiert und automatisiert gestaltet werden können, darüber berichtete Martin Löhrke von der Jürgen Löhrke GmbH. Er beschäftigt sich mit der Automatisierung der Reinigung und stellt die Frage: Was ist sinnvoll und was ist realistisch umsetzbar? Kurzfristig gilt es, sich direkt an der Anlage die vorhandene Sensortechnik einmal genau anzuschauen und bestenfalls zu digitalisieren sowie die Reinigungstechnik remote, also aus der Ferne, zu überwachen und zu warten. Mittelfristig bietet sich für die Unternehmen an, in neue Sensortechnologien zu investieren und Schnittstellen zu vereinheitlichen. Am Horizont gibt es die Möglichkeit, beim Bau von Neuanlagen bereits im Vorhinein die Reinigungsabläufe mit digitalen Zwillingen zu simulieren. Aussagen zur Reinigbarkeit und Effizienz mit Hilfe digitaler Zwillinge sieht er aktuell noch als schwierig, da sehr verschiedene Parameter im Vorhinein mit in Betracht gezogen werden müssten.
Rüstzeiten minimieren – damit die Produktion nicht lange stillsteht
Einen sehr praxisnahen und tiefen Einblick in die Produktion gab den Teilnehmenden Daniel Plümer von der Conditorei Coppenrath & Wiese. Wie werden dort Rüstvorgänge an Produktionslinien durchführt und optimiert? Rund 620 verschiedene Produkte werden in fast 40 Produktionslinien hergestellt, an denen bis zu 10 Artikelwechsel pro Woche durchgeführt werden. Rüstoptimierung ist hier das Schlagwort. Durch präzises Einstellen vor dem Produktionsstart können Anfahrverluste wie etwa Über- oder Unterdosierungen vermieden werden. Eine Grundvoraussetzung für das präzise Einstellen ist ein standardisierter Maschinenaufbau, damit alle äußeren Bedingungen identisch gehalten werden können. So kann für jedes Produkt der korrekte Einstellwert aus den Auf- und Umbauplänen genutzt werden, so Plümer. Ein Rüstwagen mit allen notwendigen Werkzeugen hat sich hier in der Praxis bewährt. Dabei soll für jedes Rüsten möglichst wenig Werkzeug genutzt werden. Plümer zeigte hier viele Praxisbeispiele, von der Optimierung des Umrüstvorgangs bis hin zum werkzeuglosen Rüsten.
Fabrik der Zukunft – was auch bei Bestandsbauten umsetzbar ist
Christian Falkenstein berichtete von seinen Projekten für Neu- und Umbauten in der Lebensmittelproduktion aus Sicht eines Architektur- und Planungsbüros. Neben den besonderen Anforderungen an die Hygieneplanung stehen dabei die Themen energieeffiziente und „smarte“ Produktion im Mittelpunkt. Durch eine intelligente Produktionsplanung lassen sich schon mit kleinen Maßnahmen geringere Energieverbräuche, die Reduzierung von Food Waste und eine Erhöhung der Materialausbeute erreichen. Eines der großen aber auch langfristigen Ziele ist die Weiterentwicklung zu einer CO2-neutralen Fabrik: Jeder noch so kleine Schritt auf diesem Weg ist wichtig, so Falkenstein.
Vom Wollen zum Machen: Über Maßnahmen zur CO2-Reduzierung in Käsereien berichtete Lars Dammann vom Deutschen Milchkontor (DMK). Bei einem Energieprojekt am Standort Edewecht wird eine standortweite Abwärmenutzung und eine intelligente Verknüpfung von Wärmequellen und Wärmesenken realisiert. Ein neuer Wärmespeicher mit einem Volumen von ca. 300 m3 wird zum zentralen Bestandteil des neuen Systems und dient zum Ausgleich des asynchronen Bedarfs- und Angebotsverlaufs der Abwärme. Durch das Projekt werden ab 2023 jährlich ca. 5.000 t CO2 am Standort Edewecht eingespart. Dammann berichtete, dass das Projekt seitens der Deutschen Energie-Agentur (dena) als eines von deutschlandweit lediglich 13 Leuchtturm-Projekten für CO2-Einsparungen in der Industrie ausgezeichnet wurde.
Georg Hoffmann, Nachhaltigkeitsverantwortlicher bei Ritter Sport, erzählte vom Weg zur Klimaneutralität bei Ritter Sport. Das Unternehmen hat sich schon lange klar definierte Ziele gesetzt. Seit 2019 wird klimaneutral produziert, wobei dazu der Bau eines Kälteverbundes mit acht neuen Kältemaschinen, eine Heizungsnetzsanierung, eine neue Energiezentrale mit einem BHKW mit Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung, die Umstellung auf biodynamisches Licht in der Produktion sowie die Reduzierung von Druckluftleckagen wichtige Schritte waren. Die nächsten Schritte sollen bis 2025 zur kompletten Klimaneutralität des Unternehmens führen, so Hoffmann. Klimaneutral zu wirtschaften erfordert jedoch konsequente und jahrelange Vorarbeit und das Drehen an vielen großen und kleinen Stellschrauben.
Ausblick auf noch mehr Impulse zur Optimierung von Abläufen
Im Herbst treffen sich die Produktions- und Technikverantwortlichen wieder auf den „Praxistagen Produktion“: am 18. und 19. Oktober 2022 in Dortmund. Hier finden Sie weitere Informationen.
Weitere Informationen erhalten Sie bei:
Die Akademie Fresenius GmbH
Alter Hellweg 46
44379 Dortmund
Telefon +49 231 75896-50
Telefax +49 231 75896-53
E-Mail freseniusakademie-fresenius.de
www.akademie-fresenius.de